Dr. med. Martina Wenker
Prof. Dr. theol. Jürgen Manemann
Dr. theol. Stephan Schaede
Dr. med. Thela Wernstedt, MdL
Bischof Dr. theol. Franz-Josef Bode
Landesbischof Ralf Meister
Prof. Dr. med. Claudia Wiesemann
Prof. Dr. theol. Christian Polke
Dr. Martin Splett
Prof. Dr. iur. Eva Schumann
Dr. med. Thomas Buck
Dr. Christoph Künkel
Torsten Windels
Thomas Uhlen
Prof. Dr. Janna Teltemann
Dr. Rebecca Seidler
]]>Die vollständige Stellungnahme finden Sie folgend zum Herunterladen:
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Problematisch sei es zum Beispiel, wenn allein Ort und Art der Unterbringung als Unterscheidungskriterium angeführt werden, um über die Sicherung des passiven und aktiven Schutzes zu bestimmen. Personen mit Beeinträchtigungen, die allein wohnen oder sich in ambulanten Settings finden, würden dadurch schon aus strukturellen Gründen weniger bedacht. Dasselbe gelte für Eltern von beeinträchtigten Angehörigen, die teilweise mit spürbaren materiellen Folgen die eigene Berufstätigkeit einschränken müssten, um ihre ins Haus gewiesenen Kinder zu betreuen bzw. sie keinem erhöhten Risiko auszusetzen.
„Dieses undifferenzierte Vorgehen weist darauf hin, wie wenig belastbar die bisher erzielten Erfolge im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen sind.“, so die INE in ihrer Stellungnahme. Die INE bemängelt zudem, dass sich Menschen mit Beeinträchtigungen im öffentlichen Pandemiediskurs als nicht gesehen und nicht geachtet erleben. Sie regt dazu an, bei der Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen die Möglichkeiten zu verbessern, damit Betroffene wirksam ihre Anliegen vorbringen können. Wichtig sei auch die barrierefreie Kommunikation als Regel einzuführen. „Gesetze, Anordnungen, Verordnungen und Erlasse, die für Menschen mit Beeinträchtigungen relevant werden können, sollten in Niedersachsen so verfasst sein, dass die Menschen, die davon betroffen sein könnten, sie auch barrierefrei verstehen und sich damit auseinandersetzen können.“, so die INE in ihrer Stellungnahme.
Derzeit sind in Europa zwei Impfstoffe zugelassen, weitere sind im Verfahren der Zulassung. Dennoch werden Impfstoffe über Wochen Mangelware bleiben. Die Durchimpfung einer Bevölkerung braucht Monate. Daher wurden Priorisierungsgruppen erstellt durch die Zusammenarbeit von Ständiger Impfkommission, Deutschem Ethikrat und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Klar ist, es wird, bedingt durch noch unzureichenden Ausbau der Impfstoffproduktion und Produktionsausfällen, zu Verzögerungen kommen, selbst die sog. Priorisierungsgruppe 1 (Menschen mit besonders hohem Expositionsrisiko; Menschen mit engem Kontakt zu vulnerablen Gruppen) durch zu impfen. Es wird damit gerechnet, dass es mindestens bis Ende März dauern kann, diese Gruppe durch zu impfen. Es stellt sich daher die Frage, wer aus der Priorisierungsgruppe 1 zuerst geimpft werden soll und vor allem ob alle hinreichend im Voraus kontaktiert werden können.
Bei der ethischen Abwägung der Maßnahmen für eine Durchimpfung konkurrieren Güter wie die Aufrechterhaltung staatlicher Funktionen, insbesondere des Gesundheitssystems sowie das sehr hohe Risiko einer schweren bis tödlichen Erkrankung durch SARS-Covid‑2 bei Menschen hohen Alters und Vorerkrankungen. Hinzu kommt ein sehr hohes Infektionsrisiko durch berufliche Exposition bei Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen insbesondere in Notaufnahmen, auf Intensivstationen, auf Covid-Stationen, in der Palliativversorgung, im Rettungsdienst. Hinzu kommen die durch eine weiter lang andauernde Maßnahme harter Restriktionen im öffentlichen Leben Gefährdungen im Zuge von Bildungschancen und weiterer Daseinsvorsorge.
Das von der Ständigen Impfkommission (STIKO) formulierte Ziel ist die Abwendung eines größtmöglichen Schadens von der Gesellschaft unter Beachtung der Prinzipien von Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Solidarität. Nur unter Achtung jeder dieser Prinzipien lassen sich ungerechtfertigte Diskriminierungen durch Priorisierung vermeiden. Deswegen wurde eine gemischte Priorisierungsgruppe 1 identifiziert, in der die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und gleichermaßen die Vermeidung von sehr schwerer Erkrankung und Tod berücksichtigt werden. Daher müssen Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen insbesondere an bestimmten Arbeitsstellen und Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen von Pflegeheimen gleichermaßen schnell durch Impfungen geschützt werden. Mit dieser Gruppenzuordnung verknüpft sich der wichtige Effekt, dass durch die Vermeidung von schweren Erkrankungen bei alten Menschen die Belastungen der Intensivstationen nachlassen.
Folgen für die Praxis des Impfens gerade auch in Niedersachsen:
(1) Auch unter der Bedingung von extrem wenig Impfdosen sollten Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen von Pflegeheimen und Mitarbeiterinnen von Krankenhäusern in besonders gefährdeten Bereichen gleichzeitig geimpft werden. Wird nur eine Gruppe der Priorisierungsgruppe berücksichtigt, kommt es zu nicht mehr begründbaren Ungerechtigkeiten. Von daher ist – schon aufgrund der Kühlungsprobleme – es geboten, alle zu Verfügung stehenden Dosen schnellstmöglich zu verimpfen, ggf. auch unter Weitergabe an andere Einrichtungen, die diese vor Ort jeweils benötigen und gebrauchen können. Verwaltungsrechtliche Hürden sind demgegenüber nachrangig.
(2) Da selbst die priorisierte Gesamtgruppe nur stufenweise geimpft werden kann, müssen als Begründung für die Differenzierungen regionale Inzidenzzahlen, Schwerpunktversorgung von Covid-Kranken u.a. herangezogen und kommuniziert werden.
(3) Die derzeitige Lage ist sehr dynamisch und wird so bleiben. Von daher sind kurzzeitig immer wieder Anpassungen unabdingbar. Klar kommuniziert werden sollte, dass Priorisierungen stets implizit Ungerechtigkeiten beinhalten. Diese Ungerechtigkeiten können nur gerechtfertigt und in der Bevölkerung akzeptiert werden, wenn sie ethisch und wissenschaftlich begründet werden. Die Kommunikation unvermeidbarer Ungerechtigkeiten hat landesweit, gut verständlich und rasch zu erfolgen.
(4) Es sollte vermieden werden, dass Zuteilungsentscheidungen nur regional und ad hoc erfolgen. Ein interessengeleiteter Run der Einflussreichsten auf den Impfstoff ist ethisch nicht legitimierbar. Die in einer parlamentarischen Demokratie eingeübte Lobbyarbeit von Verbänden ist in diesem Fall kein geeignetes Mittel, um das von der ständigen Impfkommission festgelegte Ziel, der Schadensvermeidung für die größtmögliche Anzahl von Menschen zu erreichen.
(5) Die Bürger*innen Niedersachsens, vor allem Menschen mit besonders hohem Risiko in der jetzigen Impfphase, müssen ihre Impfung einschätzen und planen können. Es bedarf umgehend leicht verständlicher und zugänglicher sowie transparenter Anmeldeverfahren.
(6)Missgunst ist nicht das ethische Gebot der Stunde – gerade auch im Blick auf schon geimpfte Bevölkerungsgruppen. Insbesondere gegenüber hochaltrigen Menschen kann angesichts kurzer Lebensfristen ein Appell an deren Geduld zynisch werden. Ihnen sollte deshalb – sobald gewiss ist, dass sie nicht ansteckend wirken – eine Nutzung ihrer grundrechtlich verbriefen Freiheitsrechte eingeräumt werden.
Mitarbeiterschutz, Angehörigenschutz und Patientinnenschutz müssen stets in Einklang gebracht werden. Hier tragen die Führungskräfte in den Krankenhäusern derzeit eine hohe Verantwortung. „Die Initiative Niedersächsischer Ethikrat sieht mit großer Sorge, dass die aktuellen Besuchsbeschränkungen zu einer Isolation der Betroffenen führen“ stellt die Ärztin und Palliativmedizinerin Dr. Thela Wernstedt, MdL fest und führt aus, „dass die Leidtragenden insbesondere Schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Angehörigen sind“. „Beistand für Sterbende unter Wahrung ihrer Würde und Achtung ihres Willens sind Grundlagen ärztlichen, pflegerischen und seelsorgerischen Handelns“ ergänzt Dr. Martina Wenker, Lungenfachärztin und Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und fordert „dass auch in Zeiten von Corona selbstverständlich und überall eine Sterbebegleitung durch nahe Angehörige und ein würdevoller Abschied von einem geliebten Menschen ermöglicht werden muss.“
Seit Beginn der Coronakrise setzt sich die Initiative Niedersächsischer Ethikrat öffentlich für die Belange von Menschen ein, deren Bedürfnisse in der Bewältigung der Krise nicht genügend Berücksichtigung finden. Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen, bekräftigt das ausdrückliche Anrecht „besonders betroffener Patientinnen bei stationär behandelten Erkrankungen, sowie Menschen am Ende ihres Lebens, des Partners oder der Partnerin bei Geburt und Wochenbett sowie erkrankter Kinder und Jugendlicher auf eine intensive Begleitung durch Angehörige – selbstverständlich unter den erforderlichen Hygieneregeln – auch und gerade jetzt in Zeiten von Corona!“
]]>Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dürften nicht nur als Teil ihrer Familien betrachtet, sondern müssten deutlicher als eigenständige Menschen mit eigenen Rechten und Bedürfnissen wahrgenommen werden, so die INE in ihrer Stellungnahme.
Zudem kritisiert die INE den negativen Blick auf junge Menschen in öffentlichen Debatten und warnt davor, die Bedürfnisse der Generationen gegeneinander auszuspielen. Als höchst problematisch sieht die INE die Fixierung auf Ausbildungsoptionen und schulische Belange in politischen Debatten. Dadurch würden biographische Entwicklungsdynamiken und die sozialen außerschulischen Kontexte, in denen junge Menschen heranwachsen, kaum berücksichtigt. Schwere seelische Störungen seien die Folge.
Die INE plädiert deshalb dafür, künftig Kinder und Jugendliche stärker als Subjekte eigenen Rechts zu begreifen und in Entscheidungsfindungsprozesse einzubeziehen. Für Kinder und Jugendliche relevanten Verordnungen sollte es daher ohne die Beteiligung von Kinder- und Jugendräte nicht mehr geben. Es sei überdies geboten, mehrfach strukturelle benachteiligte Kinder, Jugendliche und ihre Familien bei strukturellen Fördermaßnahmen besonders zu beachten. Früherkennungsuntersuchungen und Schuleingangsuntersuchungen seien auch unter verschärften Krisenbedingungen insbesondere für sozial benachteiligte Kinder von elementarer Bedeutung, weil hiermit Entwicklungsstörungen entdeckt werden können, bevor es für sie zu spät ist.
Die (INE) versteht ihre Arbeit als Impuls zur öffentlichen Diskussion. Sie möchte mit ihrer Stellungnahme dazu anregen, aus den Folgen der Dauerkrise Lehren für den Umgang untereinander und im Speziellen für den Umgang mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Niedersachen zu ziehen. Dafür haben die Mitglieder betroffene Jugendliche und Experten befragt und angehört, die Ergebnisse miteinander diskutiert und unter ethischen Gesichtspunkten gewichtet.
Die Stellungnahme der INE finden Sie hier:
HANNOVER, den 16. November 2020
Über die Initiative Niedersächsischer Ethikrat (INE)
Die Initiative Niedersächsischer Ethikrat ist ein unabhängiges Gremium von Expert*innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Die INE sieht ihre Aufgabe darin, aus ethischer Perspektive Fragen und Probleme aufzuzeigen, die sich aus den Folgen der COVID-19-Pandemie für Menschen in Niedersachsen ergeben, sowie Strategien und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Geschäftsführende Organisationen sind die Ärztekammer Niedersachsen, die Evangelische Akademie Loccum und das Forschungsinstitut für Philosophie Hannover. Weitere Informationen zur INE finden Sie hier: www.ethikrat-niedersachsen.de
]]>Die erste akute Phase der COVID-19-Pandemie ist hierzulande überstanden. Aber ihr Effekt auf das gesellschaftliche Zusammenleben ist – auch im Hinblick auf eine zweite Welle – nicht abzusehen. Um Menschen, die von den Pandemie-Maßnahmen besonders betroffen sind, ein Sprachrohr zu verleihen, haben Dr. med. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, und die SPD-Landtagsabgeordnete Dr. med. Thela Wernstedt gemeinsam mit Landesbischof Ralf Meister und dem Osnabrücker Bischof Dr. theol. Franz-Josef Bode die Initiative Niedersächsischer Ethikrat (INE) ins Leben gerufen. Dem elfköpfigen Gremium gehören neben Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mit ausgewiesener ethischer Expertise Repräsentanten der kirchlichen Wohlfahrtsverbände an.
„Schon jetzt haben Kinder und Jugendliche, die weder Schulen noch Kindergärten besuchen durften, schwierigere Startbedingungen“, kündigt Wenker jetzt das erste INE-Papier zur Situation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen an und prophezeit, dass diese Generation an der Last und den Folgen der Pandemie wohl noch Jahrzehnte leiden wird. Deshalb ist es das Ziel von INE, den gesellschaftlichen Blick zu schärfen, damit im Falle künftig abermals notwendiger Schutzmaßnahmen differenzierter agiert werden kann. „Eine Pandemie ist keine Massenkarambolage“, betont Wernstedt, „man kann sich darauf vorbereiten.“
Bürgerinnen und Bürger in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen, gehört zu den Kernforderungen der Ethikrat-Initiative. „Wenn eine zweite Welle kommt, müssen wir verhindern, dass erneut per Verordnung über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden wird“, fordert Dr. theol. Stephan Schaede, Direktor der Akademie Loccum.
Auf die soziale Dimension der Corona-Pandemie macht zudem Professor Dr. theol. Jürgen Manemann, Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie (fiph) in Hannover, aufmerksam: „Wir müssen einen Blick für die verschiedenen Verwundbarkeiten entwickeln“, so Manemann.
Um aber zu verhindern, dass nur Experten reden, sollen ab September die Betroffenen selbst in öffentlichen Anhörungen zu Wort kommen. Denn es gilt, die Lebens‑, Entwicklungs- und Bildungschancen von jungen Menschen deutlich zu verbessern – so eine der Kernforderungen des INE-Papiers. Das Thesenpapier der Initiative finden Sie anbei als PDF-Anhang.
Die Mitglieder der Initiative Niedersächsischer Ethikrat (INE):
Gründungsmitglieder: